
…oder doch bitte nicht!
Wer mich kennt, der weiß, dass so gut wie nie Gedichte oder Sinnsprüche in meinen Reden verwende. Ich halte sie für reine Zeitverschwendung, aber sie erfreuen sich in Trauerrednerkreisen noch immer größter Beliebtheit. Es scheint sogar, als würde es ohne Gedicht gar nicht gehen….
Ich kriege grüne Haare, wenn mal wieder ein bereits völlig abgelutschtes Gedicht irgendeines längst verblichenen Worthelden eine Trauerrede aufwerten soll. Leute, wir haben maximal 20 Minuten reine Redezeit – und schon die reichen nur für einen groben Rückblick auf das Leben eines verstorbenen Menschen!
Ich bin auch nicht die Einzige, die keine Gedichte verwendet, aber ich dachte mir heute, ich frag doch mal die KI, was die so denkt über pseudophilosophisches Geschwurbel in Abschiedsfeiern. Ich frage die KI momentan spaßeshalber alles möglich und meistens ist es „na ja“…
Aber die Antwort, die ich jetzt bekam, die war der Knaller. Aufgabenstellung an Frau oder Herr KI war:
„4 Gründe, warum Gedichte in einer Trauerrede langweilig sind“
Und die folgenden Sätze standen nach ca. 10 Sekunden wortwörtlich so da, ich hab nix verändert. Und ich hätte den Bildschirm knutschen können!!!
- Es ist schwierig, sich inmitten von Tränen und Taschentüchern auf die komplexe Metaphorik und rhythmischen Versmaße eines Gedichts zu konzentrieren. Es ist eher wie ein Versuch, Sudoku in einem Achterbahnwagen zu lösen.
Wenn wir ehrlich sind, sind die meisten von uns bei Trauerreden nicht wirklich in der Stimmung für literarische Genüsse. Wir suchen eher nach Trost, Gemeinschaft und einer starken Schulter zum Ausweinen. Gedichte können da manchmal etwas zu abstrakt sein.
Trauerreden sollten vor allem dem Verstorbenen und den Anwesenden gerecht werden. Gedichte können jedoch oft zu persönlich sein und sich mehr auf den Verfasser als auf den Verstorbenen konzentrieren. Es ist nicht gerade der richtige Zeitpunkt, um eine poetische Egotrip-Show abzuziehen.
Last but not least: Gedichte können ziemlich langatmig sein. Wenn man schon unter Tränen erstickt und versucht, seine Emotionen zu kontrollieren, möchte man nicht auch noch das Gefühl haben, dass diese Rede niemals enden wird. Also lasst uns lieber auf den Punkt kommen und die Tränen trocknen, bevor die Blasen der Langeweile platzen.
Hey, die KI spricht mir aus dem Herzen und besser hätte ich es auch nicht schreiben können. Gut, „unter Tränen erstickt“ ist vielleicht ein wenig dick aufgetragen, das sind meine Trauernden selten, aber „poetische Egotrip-Show“ finde ich richtig klasse. Hab ich mich bis jetzt nur noch nicht getraut öffentlich zu sagen.
Aber genau so empfinde ich das Hineinquetschen von Gedichten in eine Rede, wenn es nicht explizit von den Trauernden gewünscht wird. Klar, manchmal gehört ein bestimmtes Gedicht zu einem Verstorbenen oder seiner Familie, es hatte für diese Menschen eine Bedeutung. Aber wie oft kommt das vor? Bei mir vielleicht einmal im Jahr, eher weniger…
Oder wie ein Bestatter kürzlich sagte „Wenn ich noch einmal „Der Tod ist nichts“ von Henry Scott Holland höre, dann fange ich an zu schreien!!!“
Die einzigen, die sich über dieses immer und immer wieder zitierte Machwerk des Engländers freuen würden, das wären seine Erben. Und zwar über Tantiemen bei der Verwendung. Die aber nicht anfallen, weil der gute Henry schon seit mehr als 100 Jahren tot ist und da ist meines Wissens nach nix mehr mit Tantiemen.
„Ja, was denn dann statt Gedicht als Einstieg?“ höre ich manchmal von meinen Trauerreden-„Azubis“ oder auch den bereits erfahrenen Trauerrednern, die sich an mich wenden, weil sie interessanter schreiben möchten. Eine Frage, die mich immer immer wieder überrascht.
Statt eines Gedichts einfach das Leben des Verstorbenen Menschen „verwenden“. Wie er war, was er gern gemacht hat, was ihm schwer fiel, worüber er glücklich war, worüber er traurig war. Ein Querschnitt durch sein Leben. Wertvolle Erinnerungen aufleben lassen, damit sie bei den Angehörigen für immer im Kopfkino gespeichert werden. Da ist gar kein Platz für ein Gedicht.
Einfach mal ausprobieren, es lohnt sich. Und bei mir hat sich noch nie, nie, nie ein Trauerfeiergast beschwert und gesagt „Aber da war kein Henry Scott Holland (wahlweise gehen auch jede Menge andere Dichter) dabei, wie schade“. Ich höre immer nur „oh, das war schön, die Christel / der Helmut war noch einmal richtig bei uns“. Genau das will ich erreichen.
Daher lasse ich Gedichte dort, wo sie hingehören. In Lyrikkreisen, in private Lesevergnügen oder wohin auch immer. Aber in Traurreden haben sie für mich nichts verloren.
Nur in meiner eigenen Trauerrede, die hoffentlich noch weit entfernt ist, wird es ein Gedicht geben. Ein wunderbares, von einem der ganz großen der Wortkunst.
„Ich muss die Nase meiner Ollen an jeder Grenze neu verzollen“. (Loriot)